Mein Geschenk an dich:

So reagierst du souverän auf Kritik!

 

Schau mir in die Augen, Kleines!

Von Bianca Koschel

27. Mai 2020


Ich schaue den meisten Leuten nicht sehr tief in die Augen. Das ist eine Erkenntnis, die mir das Tragen von Mund-und-Nasenschutz in den letzten Wochen beschert hat.

Eigentlich, da sind sich Psychologen und Kommunikationstrainer einig, sind die Augen der Teil des Gesichts, in dem sich die wahren Emotionen spiegeln, in dem ein Mensch seine Absichten und Gesinnungen unbewusst preisgibt. In Romanen haben die Bösewichte immer Augen „so kalt wie Eis“ und die kleinsten Gefühlsregungen offenbaren sich durch einen Blick, ein Zucken im Augenlid. Die Augen sind, so behauptet der Volksmund, der Spiegel der Seele.

Die Seele meiner Mitmenschen bleibt mir verwehrt!

Leider bleibt mir der Zugang zur Seele der meisten Mitmenschen verwehrt (man kann darüber streiten, ob dies zu bedauern ist), denn ich erkenne in ihren Augen zumeist enttäuschend wenig. Ich erschließe mein Gegenüber hauptsächlich über die Mundmimik, aber die bleibt aktuell unter einer Maske verborgen.

Ich forsche zurzeit angestrengt und oftmals vergeblich nach Hinweisen im verbliebenen Teil des Gesichts meiner Gesprächspartner. Ich sehe natürlich, ob die Augen sich zu Schlitzen verengen und interpretiere das, in Kombination mit der Stimmlage, auch mitunter als Lächeln. Aber so einfach machen es mir leider nicht alle, mit denen ich aktuell zu tun habe. Wenn die Augenpartie während des Gesprächs unverändert bleibt, wie soll ich dann wissen, ob jemand freundlich schaut oder nicht?

In welcher Beziehung stehst du zu mir?

Wenn ich eine Person nicht gut kenne und ich nicht über Erfahrung verfüge, ob wir einander freundlich oder eher distanziert gegenüberstehen, fällt mir die Einordnung derzeit ungeheuer schwer. Und wer sich ein bisschen mit Kommunikationstheorien auskennt, der weiß, dass die Inhaltsebene, also die reine Information einer Botschaft, nur einen kleinen Teil des gesamten Kommunikationsprozesses ausmacht. Ein anderer, wesentlicher Bestandteil ist die sogenannte Beziehungsebene, also die Ebene, auf der Kommunikationspartner wahrnehmen, wie sie zu einander stehen. Ob man sich sympathisch ist oder eher nicht oder als wie authentisch man den anderen einstuft. Zahlreiche Informationen, die wir aussenden und interpretieren, entscheiden, oft ohne, dass wir uns darüber bewusst sind, in Sekundenschnelle darüber, in welche Beziehung wir mit unserem Gegenüber treten und ob wir uns darin wohlfühlen. Wenn das Gesicht in weiten Teilen verdeckt ist, fallen viele Merkmale zu dieser Orientierung weg. Der Mensch, der mir gegenübersteht, bleibt für mich ein fremdes Wesen, das ich schlecht einschätzen kann.

Jetzt ist die Chance, die Aufmerksamkeit zu schärfen

Aber wie immer liegt in jeder schwierigen Situation auch eine große Chance. Ich muss lernen, den Fokus stärker auf die Augenpartie meiner Gesprächspartner zu legen und daraus wichtige Rückschlüsse für die Kommunikation zu ziehen. Wir alle werden den Menschen, mit denen wir zu tun haben, in der nächsten Zeit beim Sprechen viel genauer in die Augen schauen.  Vielleicht gelingt es mir im Laufe der Zeit immer besser, die fehlenden Gesichtsfelder zu kompensieren und anhand der verbleibenden Kommunikationsmittel (dazu gehören ja neben den Blicken auch die Stimme und die übrige Körpersprache) eine soziale Interaktion sicherer einzuschätzen. Das wäre ein großer Gewinn, denn wenn die Masken eines Tages aus den meisten Alltagssituationen wieder verschwunden sind, ist die Aufmerksamkeit für diese Körpersignale hoffentlich nachhaltig und dauerhaft geschärft.