In Zeiten wie diesen, wo persönlicher Meinungsaustausch nur sehr eingeschränkt möglich ist, lese ich manchmal die Kommentare unter Artikeln, z.B. bei Spiegel oder Zeit online. Und ich bin entsetzt von der mangelnden Bereitschaft, die Sorgen und Nöte anderer Menschen anzuerkennen.
Zunächst sind natürlich Zweifel angebracht, warum man überhaupt solche Kommentare lesen muss. Stattgegeben, muss man nicht, sind eigentlich nur persönliche Meinungen und somit zur Informationsbeschaffung irrelevant. Dennoch bin ich hin und wieder daran interessiert, was meine Mitmenschen zu bestimmten Themen denken.
Was willst du denn mit deinen Luxusproblemen?
Aktuell beherrschen die Corona-Krise und deren vielfältigen Auswirkungen die Debatten. Viele Menschen äußern ihre persönlichen Ängste und Sorgen. Die berufliche Existenz ist bedroht, man spürt Überforderung mit der Kinderbetreuung rund um die Uhr, Menschen drohen zu vereinsamen, haben Angst, sich anzustecken oder ihr Geld für angezahlte Urlaube nicht erstattet zu bekommen.
Oft werden diese Menschen rüde abgekanzelt, weil es sich angeblich um „Luxusprobleme“ handele. Andere Menschen (oft der Kommentarschreiber selbst) seien viel schlimmer dran. Ein solcher Umgang mit den Sorgen anderer Menschen ist mir zutiefst zuwider. Nach einer solchen Argumentation dürfte sich eigentlich überhaupt niemand mehr beschweren. Denn irgendwo gibt es immer jemanden, dessen Schicksal mein eigenes rosig erscheinen lässt.
Es ist anmaßend, Menschen vorzuschreiben, worunter sie leiden dürfen!
Ich spreche hier nicht von denjenigen, die gerne und überall auf sehr hohem Niveau meckern. Denen man es nicht recht machen kann und die sich grundsätzlich benachteiligt fühlen. Ich spreche von Menschen, die etwas auf dem Herzen haben, was sie belastet und worüber sie sich viele Gedanken machen. Es ist ein berechtigtes menschliches Grundbedürfnis, seine Probleme mit anderen Menschen zu teilen. Es ist nachgewiesenermaßen heilsam für die Psyche, sich Dinge „von der Seele zu reden“. Ganze Berufsgruppen basieren auf dieser Erkenntnis.
Auch einer meiner beruflichen Schwerpunkte, sowohl in meiner schulischen als auch in meiner selbständigen Arbeit, ist die Auseinandersetzung mit Ängsten und Problemen anderer Menschen. Es käme mir niemals in den Sinn, jemandem, der mich aufsucht, um mir sein Herz auszuschütten, die Relevanz seines Problems abzusprechen. Es ist anmaßend, Menschen vorschreiben zu wollen, was sie belasten und ihnen schlaflose Nächte bereiten darf. Wie schlimm ein Mensch eine Situation empfindet, ist subjektiv und sollte nicht von anderen Menschen bewertet werden.
Wer nichts Hilfreiches beizutragen hat, hält den Mund!
Natürlich kann es manchmal hilfreich oder tröstlich sein, wenn man jemandem sachlich darlegt, warum man selbst das Problem als weniger bedrohlich einschätzt. Das kann eine wirksame Strategie sein, einem Menschen dabei zu helfen, sein Problem als weniger belastend wahrzunehmen.
Jeder Mensch verdient es aber, dass man ihn und seine Sorgen ernst nimmt. Jemandem zu signalisieren, dass seine Anliegen es nicht wert sind, geäußert und gehört zu werden, dass seine Ängste unberechtigt und im Vergleich zu anderen „pille palle“ sind, ist nicht akzeptabel. Wer angesichts der Nöte Anderer nichts Hilfreiches oder Empathisches beizutragen hat, dem sei ans Herz gelegt, sich einfach in Schweigen zu hüllen. Man muss nicht alles kommentieren und schon gar nicht alles bewerten!