Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie oft man am Tag die Phrase „Alles gut!“ hört? Ich habe sie allein heute dreimal gehört. Einmal von einer Nachbarin, als ich mich bei ihr entschuldigt habe, weil meine Antwort auf ihre Email so spät kam. Das zweite Mal in der Bäckerei, wo ich mein Bedauern ausdrückte, kein Kleingeld zu haben und schließlich von einer reichlich genervten Dame, die ich um Verzeihung bat, weil ich ihr an der Supermarktkasse versehentlich meinen Einkaufswagen in die Hacken gerammt hatte.
Nerv mich nicht!
„Natürlich bedeutet „Alles gut“ manchmal wirklich etwas wie „Kein Problem, das ist nicht schlimm!“. Aber oft muss man diesen Satzfetzen ganz anders interpretieren, zum Beispiel so: „Finde ich total bescheuert, habe aber keine Lust darüber zu sprechen!“ Oder so: „Nerv mich nicht und lass mich in Ruhe!“ Oder sogar: „Eigentlich ist gar nichts gut, aber das will keiner wissen!“
Nun nisten sich solche Ausdrücke gern in unserem Sprachgebrauch ein, bevor wir es richtig merken. Gerade dachten wir noch, was das für eine blöde Angewohnheit ist und schon hüpft es uns selbst über die Lippen. Dafür gibt es auch zahlreiche andere Beispiele, aber „Alles gut!“ ist derzeit ein besonders beliebter und hartnäckiger Bursche, finde ich.
Woher kommt das Bedürfnis, unseren Gesprächspartnern dauernd zu signalisieren, dass es überhaupt kein Problem gibt, obwohl das gar nicht stimmt? Eigentlich ist nämlich selten bis niemals alles gut, denn (wie ein anderes Phrasen-Dreschgut uns lehrt) „Irgendwas ist ja immer!“.
Pass doch auf, du blöde Kuh!
Ich wette, meine Nachbarin, die sich über meine ausbleibende Antwort im Vorfeld schon bei mir beschwert hatte, hätte eigentlich gerne geantwortet: „Meinst du ich habe nichts besseres zu tun, als deiner Antwort hinterherzulaufen?“ Und die Bäckerei-Fachverkäuferin hat mit Sicherheit gedacht „Nur ignorante Idioten wissen nicht, dass man morgens um acht drei Brötchen nicht mit einem 50 Euro-Schein bezahlen sollte!“ Ganz zu schweigen von der Dame im Supermarkt, hinter deren „Alles gut!“ sich wahrscheinlich mindestens ein „Pass doch auf, du blöde Kuh!“ im Zaum halten musste.
So ist „Alles gut!“, wie vieles im Leben, Fluch und Segen zugleich. Es erlaubt uns, in Situationen höflich zu bleiben, in der uns eigentlich eine patzige Erwiderung auf den Lippen läge. Andererseits hält diese Worthülse uns davon ab, eine ehrliche Antwort zu geben und unsere wahren Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
Hab keine Angst, es ist alles gut!
Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, diesen Ausdruck nach Möglichkeit zu vermeiden. Ich versuche stattdessen die Worte zu finden, die ich wirklich sagen möchte und wenn die Botschaft lautet: „Das ist nicht schlimm.“, formuliere ich es auch so.
Gestern Abend allerdings habe ich es ganz bewusst gesagt und zwar in einem Kontext, in dem es keine Floskel war. Mein Sohn hatte einen Alptraum und rief mich verängstigt an sein Bett. Ich nahm ihn in den Arm und flüsterte ihm ins Ohr: „Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist alles gut!“